»Eva und der Wolf«

hc_evaund1von Eva-Maria Hagen
Econ Verlag | 542 Seiten | Diederichs, München | 1998 | ISBN 3424013609


Am 18.01.1999 wurde Eva-Maria Hagen für »Verdienste um die deutsche Sprache« mit der »Carl-Zuckmayer- Medaille« in Mainz ausgezeichnet.
Den Preis erhielt sie für ihr Buch »Eva und der Wolf«.

Seite 18 bis 29: Reinhardsbrunn, 21. 10. 65
Mein Liebster! Die meiste Zeit verbringe ich damit, an Dich zu denken, denn meine Sehnsucht nach Deiner Nähe ist sehr groß, obwohl es amüsant hier ist und interessant. Schon mal Weimar. Und dann das Schloß, in dem ich wohne, mit den bunten Bäumen vor der Tür. Reinhardsbrunn heißt es und liegt bei Friedrichsroda.

Gestern war eine Art Fest im ´Elephanten´, da habe ich paar kesse Lieder gesungen im heiteren Teil und was fürs Herz. Im ersten Teil war ernste Kunst. Eine dicke Dame von der Oper sang mit dramatischer Gebärde eine Arie und strengte sich sehr an dabei, so daß man nicht verstand, worum es ging. Dann waren paar Knödelheinis an der Reihe; aber selbst das hättest Du besser gekonnt und man hätte was zum Lachen gehabt. Aber so …
Da waren die Herren Chefs der Militäreinheiten sämtlicher Bruderstaaten erschienen, auch Kuba war vertreten. Man war ganz extraordinär freundschaftlich zum Verbindungsmann aus der Karabik, zu Fidels Bruder Raul Castro nämlich, in dem er von hinten und vorn hofiert wurde. Am liebsten hätten sie ihm noch Zucker in de A…lllerwertesten geblasen, aber davon hat er selbst genug.
Dann die Zivildienstleistenden: Matern, Stoph, Paul Verner, aus Halle Genosse Sindermann, einer von der Landwirtschaft, Wirtschaftsboß Sowieso und zwischen den Fronten dieser Mielke von der Staatssicherheit, den ich doch dummerweise nur für den Adjudanten von Hoffmann hielt (letzterer muß heute einen steifen Hals haben, weil er ihn nach mir verrenkte aus dem Abseits heraus, weiter weg vom Parkett, hinter Stützpfeiler und Bögen plaziert, vor Fleischeslust und Eifersucht aus allen Näthen platzend, der mich zu gern ins Fürstengemach ein Stockwerk höher kommandiert hätte, nötigenfalls vom Servierer als Betthupferl aufs Paradekissen drapieren lassen) und das kränkte den kleingeratenen Erich, glaube ich, daß ich ihn nicht einzuordnen wußte, denn der tanzte ganz bewußt nicht mit mir, während die anderen nur so an mir rumzerrten. (…)
Der ´Elephant´ war außerdem dicht bevölkert von kräftigen, sonst nicht weiter auffälligen, in mäßig elegante Anzüge gesteckten Herren: nüchtern bis zum Stehkragen und stechenden Blicks, dem nichts entgeht. Einen der ´Schränke´ fragte ich, ob er zur Artistentruppe gehöre, ein Kaskadeur wäre. Er lief rot an vor Freude, darüber, ob ich ihm solche Körperbeherrschaftheit zuttraute und man ihm seinen Job nicht ansah: Er schüttelte bedauernd den Kopf.
Der Sindernmann ist doch nett. Er hat mich nach den offiziellen Darbietungen den Krallen der militärischen Einheitsfront entrissen und den anderen Hohen von der politischen Elite vorgestellt. Die wollten dann, daß ich noch mal singe für sie ganz allein, an ihrem Tisch, in greifbarer Nähe. Also gut. Ich sang erst dies und das, dann …´Genosse Sindermann, Ihr Steckenpferd ist die Kultur. Sie haben ein offenes Herz für die Kunst. Passen Sie auf! Ich bring was von einem Dichter unserer Zeit, den ich schätze und verehre. Mal sehn, ob Sie rauskriegen, wer gemeint ist.´ Ich sagte ´Kunststück´ und fing an mit: „Wenn ich mal heiß bin …“
Schon am Nachmittag hatte ich damit geliebäugelt, den Genehmiger gefragt, ob was dagegen einzuwenden wär. Der hat sich den Text nervenzuckend angesehn, dachte, bei der Lieben-Gott-Strophe ist das Lied zu Ende und gestatte es gönnerhaft. Dann blätterte er um, erbleichte: Nein, lieber nicht. Er blätterte noch eine Weile selbstverloren in meinem Liederbuch, rotfleckig hin und hergerissen, wie Halbwüchsige sich Nacktfotos ansehn, konnte sich kaum losreißen. Mit einem weniger ´tendiziösen´ Song wäre er einverstanden gewesen, aber da hatte ich Bedenken wegen meiner Gitarrenbegleitung. So mußte ich auf seine Anordnung: ?Den Biermann nicht, klar?!“ leider resignieren.
Aber nun im engsten Kreis der Regierung … Ich sang gut, frech und unerschrocken, in mir war Mut von tausend Mann. Die Herren waren sehr sehr aufmerksam. Sie meinten wohl, es wäre ein Test auf ihre Allgemeinbildung. Bei der Stelle „Und spendier Stalin ein Bier“ hatte sich der Raum hörbar elektrisch aufgeladen, es knisterte vor Hochspannung zwischen mir und dem Pulk und ich stellte ziemlich unterschiedliche Reaktionen fest. Sindermann sagte spontan und wie aus der Pistole geschossen:“Biermann.“ Und geradezu versöhnlich, vertraulich familär: „Natürlich unser Wölfchen, wer denn sonst.“
Verner stampfte auf wie Rumpelstielzchen, drehte sich um die eigene Achse, giftete zähneknirchend: „Nicht zu fassen!“ …
… Stoph lächelte gelassen, doch seine Augen waren kaltwach und beobachtend. Einer sagte jovial, ich glaube der, welchem die Wirtschaft untersteht: ?Wir sind doch keine Stalinisten.“ Er meinte damit wohl, daß man sowas ruhig laut sagen darf, ohne fürchten zu müssen, deswegen auf die Schwarze Liste zu kommen.
Alle waren angegangen, hatten Schwitznacken, eine feuchte Aussprache, redeten durcheinander und aufeinander ein, wie das in vorgerückter Stunden Männervereine zu tun pflegen, taten, als wollten sie die Welt aus´n Angeln heben; bis auf Seine Graue Eminenz und parr hager wirkende Beobachtungsposten, die blieben zugeknöpft. Die Namen konnte ich mir nicht alle merken. Es waren zu viele auf einem Haufen. Sie gaben sich tolerant, humorig, selbstgefällig. Zur letzten Strophe war ich nicht mehr gekommen, da wär ihnen das Lachen vergangen, wenn ich auf sächsisch gelispelt hätte: Ausweis bitte! …
… Heut bin ich in Erfurt. Die großen Hotels sind für die Zivilbevölkerung gesperrt. Ein Kommandant hat zu bestimmen. Bisher waren es immer hübsch artige Kommandanten gewesen, höflich, zuvorkommend, die, wie einst bei kunstliebenden Königen, den Künstlern feine Speisen bringen ließen, Likör aus Frankreich…
Vorhin war eine Probe, in einem Glashaus. Von der IGA (Internationale Gartenausstellung). Blätter waren noch an den Bäumen und der Wind trieb viele vor sich her. Obwohl Walter Ulbricht kommt! Also, was Du behauptest, von wegen wegfegen das Laub und von den Bäumen pflücken. Du übertreibst eben doch, ich hab mich selbst überzeugt.
Ein überforderter Verantwortlicher für heut abend, ein Oberstleutnant hielt uns eine unverantwortliche Rede, nein, mehr eine militärische Ansprache, Befehlserteilung im Telegrammstil. Wir wurden wie Kadetten ermahnt, ja disziplin zu wahren. Da knallte meine Hand auf´n Tisch und der Satz: Da hört sich ja doch alles auf! – gleich hinterher. Er war zusammengezuckt, als wär ein Schuß gefallen. So was freches war ihm noch nicht vorgekommen unter den Komödianten. Und er fragte schneidend, ob er zuviel gesagt hätte: Ich antwortete: „Entschieden!“ …

Reinhardsbrunn, 2. 10. 65
… Gestern, das war vielleicht noch ein Theater. Sie hatten ein Aufgebot an Zitertänzerinnen und Gesangssolisten engagiert und meine Reaktionen auf die Ermahnung zur Disziplin hatte groteske Folgen. Übrigens waren die Helden müder als am Vortag, hatten nicht rausgefunden aus den Betten. Um sieben sollte das Manöver laut Einsatzplan weitergehen, aber die Kampfmoral ist auch nicht mehr, was sie mal war: Schwer angenockt vom Nachtleben in der Provinz, das nach Augenzeugenberichten bis in die Früh rein ging, setzte sich der Troß, bereits vorm Angriff abgekämpft, in Bewegung. – Jedenfalls fühlte ich mich gestern verschaukelt und unter aller Sau behandelt. In einem provisorischen Nebengelaß hatte man die Unterhalter einquartiert (wie Zaungäste), von wo aus man die Speisenden, ihre sich langsam rötenden Gesichter und prall werdenden Bäuche übersehen konnte – und wo wir auf unseren Auftritt zu ebener Erde warteten.
Es war ein Spreuprogramm. Weißt Du, was das ist, ein Spreuprogramm? Nun, wo Spreu und Weizen nicht voneinander getrennt sind und man fressen muß, was auf´n Tisch kommt. Etwa so: die Musik spielt was zur Untermalung des Kauens und Schmatzens, wasa zur Erbauung, für die Verdauung. Dazwischen kommt der Schleuderakt, ein Zauberer mit halbnackter Assistentin oder eine Bodennummer, die bietet den Persönlichkeiten was Appetitanregendes. Und wenn die Herrn schauen wollen, schauen sie und wenn sie essen wollen, dann nagen sie am Schenkel vom Fasan. Trotzdem waren Sie gnädig, taten volksverbunden und spendeten mehr oder weniger emphatisch Applaus. Walter Ulbricht war doch nicht gekommen. Vielleicht hatte Lotte interveniert, weil sie wohl ahnte, welch Lotterleben sich hinter den feindlichen Linien, d.h. auf so traditionellen Manöverbällen abspielt – und ich nehme meine Zweifel im vorigen Brief, daß Du Dir das aus´n Fingern saugst mit dem Blätterpflücken im Falle des Erscheinens des 1. Sekretärs, mit Bedauern zurück und behaupte das Gegenteil. Wenn mich nicht alles täuscht, schmulte dafür Honecker bei meiner Darbietung vom ´Schäferduett´und der Ritter-Ballade vom ´Keuchheitsgürtel´ wie ein verklemmter Mönch an mir runter und vorbei ins Aus. Vielleicht war es auch nur sein Lichtdouble.
Doch vorher, wie ich da so saß, fiel mir messerscharf unsere klassenlose Gesellschaft ins Auge. Die Situation erzeugte eine Leichenkellerstimmung. Ich fühlte mich unterkühlt, wollte nach Hause, überlegte ernsthaft, was passieren würde, wenn ich meine Siebensachen greife und einfach abhaue. Meine Opposition, die Dank Deiner Anstiftung reichlich Kraftfutter bekommen hat, stieg und wucherte. Ich sagte, daß ich mir wie in einem Ghetto vorkomme und die Uniform vom Nachmittag, die mit dem schmalen Denkvermögen, wußte den Begriff nur bei den Nazis anzusiedeln. Und da schoß sein DDR-Nationalbewußtsein jäh und gelb in seine Wangen. Er fühlte seinen großen Auftritt nahen und zitternd vor Lampenfieber sagte er, wir könnten auch, wenn es mir nicht paßt, den Vertrag vorzeitig lösen. Und ohne Sinn, zusammenhanglos: Wenn laut Protokoll nicht getanzt wird, wird nicht getanzt. Um 24 Uhr hat alles im Bus zu sein. Und das gilt auch für Sie, Frau Hagen! Ich kriege auch nur meine Anweisungen …
Oh, da war ich aber aufgebracht! Als ob ich hergekommen wär, um zu tanzen, als ob ich hingelaufen wär, um jemanden zum Tanz zu bitten, als ob ich angereist war, um mir militärische Anweisungen geben zu lassen, diese womöglich noch zu befolgen. Die Dinge, die ich ihm sagte, hatten es in sich und ließen sein aufgesetztes Lächeln einfrieren; ich weiß, wie man solche Kotztypen schockt, ohne sein Gesicht zu verlieren.
Dann bog der Schnitzler vom ´Schwarzen Kanal´ ins ´Künstlerviertel´ ein. Er hat eine Vorliebe fürs Milieu. Das luxuriöse Nachtmahl hatte ihn wülstig gemacht, redselig, aufgeräumt. Ein galanter Lüstling mit Manieren, duftwässerchen-durchtränkt, polierte Fingernägel, Höfling im engeren Ring, ein Typ, der seinen Platz in Thronnähe behauptet. Nicht zu vergessen das Dessert: Wackelpudding und Flitterhintern, feuchtglänzende Teile von Haut, Evas zwei- bis eindeutige Liedchen; zusätzlich die Führungsmannschaft-Atmosphäre hatten ihn angespitzt und ließen den Adelsherren sich nonchalant herablassen. Wir hatten Selterswasser hingestellt gekriegt, er schmuggelte auf Kosten des Fußvolks – am laufenden Band Wodka und Kognak in die Abseite. Dann wollte er tanzen. Und zwar mit mir. Ich wollte nicht. Und nicht nur wegen der Anweisungen. Also machte der Lord auf Konversation, war eine sprechende Zeitung, quakte mit verklärter Geheimnisträgerblick und konspirativem Froschaugenaufschlag: Achtzigtausend Mann wären die Woche über in ständiger Bewegung, das müßte man sich mal vorstellen. Wozu das, fragte ich; weiß wirklich nicht, was er meinte. Wegen der Unsummen, die da verpulvert werden, wohl nicht. Mein lieber Kokoschinski, sagte einer aus der Hintermannschaft, ein Normalverbraucher kann sich überhaupt nicht vorstellen, wieviel Metall zur Zeit auf Achse ist. Dabei ist das ein Klacks, gemessen an dem, was wir noch in der Hinterhand haben. – Karl-Eduard aber wollte sich jetzt amüsieren und sagte beschwingt: Alles zu seiner Zeit. Zum Wohle, die Damen! …
… Dann rückte Sindermann ins Ghetto ein, um mich aufzufordern. Dem sagte ich provokativ; Tut mir leid, Väterchen Bezirkssekretär. Tanzen ist verboten (den familiären Ton kann ich mir erlauben, sein Sohn Peter war mein Filmpartner und einst schwer in mich verliebt, erinnerst Du Dich: Halle, unsere Begegnung, das Geballer an der Tür im ´Roten Roß´. Und ich war bei denen im Garten mit Hollywood-Schaukel und Posten vor der Tür). Da nahm mich der Alte spitzbübisch-kumpelhaft an der Hand, führte mich aufs Parkett; vielleicht machte es ihn ´scharf´. Denn wie der Dicher sagt: ?Keiner tut gern tun, was er tun darf.“ Als nächstes schunkelte ich mit dem Gutgenährten von der Wirtschaft durch Schall und Rauch, den sie gestern komplizenhaft zum Kulturminister ernannt hatten; kleiner interner Scherz der Herren, worauf ich mir aber keinen Reim machen konnte – und der sagte in überzeugtem Brustton, daß ich schön wäre, klug, eine sozialistischen Hexe, hihi. Und das Lied von Dir gestern hätt ihm toll gefallen: ?Großartig, der Biermann, das ist unser Mann! Von seinem Schlag müßten wir mehr haben.“ Ist das eine Aussage!? – die ich hiermit schriftlich festhalte als Beweis, wenn einer was will. Mit heißem Atem wie Strahlemann & Söhne hat er das gehaucht. Ich bin mir nicht sicher, ob er Deinet- oder meinetwegen so entzückt war. Wahrscheinlich ist es die Kombination.- Mittag hieß der begeisterte Knabe, fällt mir ein. Ob er nachmittags, wenn er nüchtern drüber nachdenkt, noch seiner Meinung ist? …
… Dann funkelte der Mielke mit seinern Sprühaugen mich an. … Und plötzlich sagte einer seinesgleichen hinter mir: Genosse Minister haben heute noch nicht getanzt, wollen Genosse Minister nicht tanzen? (wörtlich!) Und Genosse Minister senkte seinen Blick auf die Höhe, wo mein Busen sitzt, gab seiner Stimme einen monotonen Klang: Ja, was will ich, will ich tanzen, will ich nicht? Würden Sie denn wollen, wenn ich will?! Er schaute auf das Goldgeflecht meiner Ballschuhe und ich herab auf seine Stiefel aus Schweineschwarten (oder war die Rinderhaut aus Büffelleder bis hoch zum Knie) und auf die vorquellenden Beuteltierhosen, Bridges genannt. – Warum nicht, sagte ich artig. Ich hätt nichts dagegen, obwohl es mir eigentlich verboten wurde. Aber iretwegen kann man ein Verbot ja wohl mal getrost übertreten, oder? – Er horchte auf: Was ist? Wer hat das angeordnet. Hinter meinen Rücken! Wo ist der dafür Zuständige. Hähä. Das mir! Keiner verläßt den Saal. Wenn einer was zu verbieten hat, dann … Und er flüsterte aggressiv mit der Art Humor, ungewollt eine Karikatur auf sich selber spielend, als hätte Lubitsch eine Fortsetzung von ´Sein oder Nichtsein´ inszeniert: Schon gewußt? Bin der Minister für Staatssicherheit. – Aha, Ja. Klar hab ich inzwischen mitgekrieggt. Er wollte sogar mit mir hingehen zu der Uniform, deren Insasse sich feige verkrümelt hatte, als er merkte, daß seine Eminenz mich bevorzugte mit seiner Aufmerksamkeit. Der Sicherheitchef regte sich sogar richtig echt auf und beklagte sich bei einem seiner Vertrauten: Ist doch die Höhe! Als wär ich nicht selbst Manns genug. Unerhört, so was! Kommt einer Entmündigung gleich. Fehlt nur noch der Jagdschein. Soll ich dem Kerl einen Denkzettel verpassen, fragte er mich fuchsteufelswild und machte ein Gesicht, als wollte er auf der Stelle ein Duell ausfechten.
Ich spielte die kühle Blonde, lachte amüsiert: Das schaff ich schon allein, Genosse Minister, mich gegen solche Halbgewalten zu wehren. Er, nun fast versöhnt wieder, halb gönnerhaft, halb väterlich: Wenn Sie mal Kummer haben, Hilfe brauchen. Bin für Sie da. Ohne Spaß. Schreiben Sie. Berlin Lichtenberg, Normannenstraße. Kommt an.
Na, ich hoffe doch, nicht in die Lage versetzt zu werden, Ihre Dienstzeit in Anspruch nehmen zu müssen, verehrter Herr Minister. Ich bin legetimes Kind der Deutschen Demokratischen Republik, was soll mir da passieren. – Und meine Rüschen raschelten. – Wo ich wohne? Prenzlauer Berg. – Wo genau! – Zelterstraße. – Nummer! – Sechs.
Er hielt meine rechte Hand unter seine Augen, als hätte er Lupen statt Pupillen. Nein, kein Ehering, nur einer mit Brillianten. Er lächelte kindlich, gleichzeitig verschlagen. ´Ein Zwitterwesen´, , kam´s mir in den Sinn, ´was für ein mickriger Mephisto.´ Und dachte, als ich seine auf derStrin vorquellenden Gedanken las: Mach mir bloß kein´ Ärger. Erspar dir eine Niederlage. Deine dir unterstellten Arbeitsbienen schwärmen rum und registrieren jedes Wimpernzucken. Womöglich stechen sie mich hinterrücks, wenn ich durch eine enge Gasse muß. Doch dicht an meinem Ohr summt er die Melodie vom Tango mit.
Mit einem Ruck ward mir bewußt: Mensch, Eva-Maria, das ist kein Film, keine Kamera läuft, kein Schienenwagen wird geschoben, die Lampen sind normale Festtagsbeleuchtung, keine Klappe wird geschlagen, Regieanweisungen sind nicht zu vernehmen, niemand verlangt eine Wiederholung der Einstellung, völlig auf sich gestellt ist die Darstellerin in dieser, ihrer eigenen, vom wahren Leben auf sie übertragenen Rolle. Und kein Niemand nicht wird jemals sehen, wie gut ich war in dem Streifen ´Oktobersturm´.
Die Mitternacht war längst vorbei; ich wollte ins Bett. Die übriggebliebenen Herbststürmer aber hingen windschief an den Tanzmäusen, Chordamen, Schnulzen-Sängerinnen, redeten ihnen ein, was für berückende Künstlerinnen sie seien. Und überhaupt: Was ist das Leben ohne Wein, Weib und Gesang. Nichts! Das stimmt.
Ich saß da mit überklarem Kopf, registrierte all das besser als die graumelierten Anzüge, die in den Ecken rumstanden, vor und hinter allen Türen, Schaufensterpuppen, gut durchtrainierte Mittelmaßtypen. Sie hatten keinen auffällig-unbeteiligten Blick mehr, schauten männlich interessiert auf nacktes Fleisch wie Schulterstücke, Brustansätze, Kniebein, Waden, Haxen, aßen von den Resten, die noch reichlich dalagen, auf´m kalten Bufett: Aal in Aspik und geräuschert, gefüllte Teigtaschen, Hühnerkeule, bunte Happen.
Und ich sehnte mich mit einer so unbeschreiblichen Macht in die Arme meines Liebsten oder wenigsten in seine Nähe. Nach Deinem Kirschmund hatte ich Hunger, Drachentöter, Deinen Tönen wollte ich lauschen, Minnesänger, Deine Stimme trinken, Troubadour. Denn nach Deinen himmlisch-iridischen Liedern bin ich süchtig und fast krank vor Sehnsucht. – Das Schloß und Drumherum hat mich versöhnt. Die Sonne und der Himmel haben mich umschmeichelt. Die herrlich bunten Herbstfarben strahlen eine geradezu magischen Kraft aus und haben sie einfach auf mich übertragen. Ich will Dir immer abgeben von meinen Schätzen, Dich erheitern,, Dir erzählen von Zwergen, Greisen, Weibsbildern, Wichtel- männern, Kuriosem, Nebensächlichkeiten.
Ich freue mich auf Dich, lieber Wolf! – Eva

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Eva-Maria Hagen
Schauspielerin | Sängerin | Autorin | Malerin | Kontakt: info@eva-maria-hagen.de